Wien (pts021/15.02.2018/14:50) – Die Hanfpflanze (Cannabis sativa) wurde in Österreich von der Herbal Medicinal Products Platform Austria (HMPPA) – bestehend aus ExpertInnen der pharmazeutischen Institute der Universitäten Graz, Innsbruck und Wien – aufgrund ihrer aktuellen Bedeutung, der Vielfalt an interessanten pharmakologisch wirksamen Inhaltsstoffen, und der Tatsache, dass sie nun in Österreich zur Arzneistoffgewinnung angebaut wird, zur Arzneipflanze des Jahres 2018 gekürt.
Die HMPPA ist ein einzigartiges wissenschaftliches Netzwerk, das seit seiner Gründung am 1. Dezember 2006 mit höchster Kompetenz daran arbeitet, Naturstoffe zu erforschen und pflanzliche Arzneistoffe zu entwickeln, und versucht, diese Erkenntnisse gemeinsam mit Partnern aus Medizin und Wirtschaft zum Wohle der Patienten nach modernsten wissenschaftlichen Standards umzusetzen.
„Die erklärten Tätigkeitsfelder der HMPPA sind die Grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung, deren Umsetzung in der Pharmazeutischen Industrie, sowie die Aus- und Weiterbildung im Bereich pflanzlicher Arzneimittel“, betont Univ.-Prof. Mag. Dr. Hermann Stuppner, Präsident der HMPPA, Abteilung für Pharmakognosie am Institut für Pharmazie, Universität Innsbruck.
Ein jährliches Highlight ist es auch, die Arzneipflanze des Jahres in Österreich zu küren. Zu den Kriterien zählen u.a. Bezug zu Österreich, wissenschaftliche Aktualität, Bedeutung in Medizin und Pharmazie, wirtschaftliche Bedeutung und neue Indikationsgebiete. Die Wahl für 2018 fiel auf die Hanfpflanze Cannabis sativa, die zu den ältesten Nutz- und Zierpflanzen der Welt zählt und eine Fülle verschiedener Cannabinoide, Terpene und Flavonoide enthält.
Faserhanf und Drogenhanf
„In Österreich wird Cannabis sativa ssp. sativa einerseits v.a. wegen der langen Fasern als Faserhanf landwirtschaftlich im Feldanbau genutzt. Andererseits wird sie seit kurzem von der Österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit (AGES) wegen ihres Gehaltes an Cannabinoiden als Drogenhanf für die Isolierung von Dronabinol unter streng kontrollierten Bedingungen in Gewächshäusern kultiviert“, berichtet em. o. Univ.-Prof. Dr. Chlodwig Franz, Vizepräsident der HMPPA, Abt. Funktionelle Pflanzenstoffe, Veterinärmedizinische Universität Wien.
Reinsubstanzen als Arzneimittel
Essenziell ist eine Unterscheidung zwischen den Zubereitungen der Pflanze Cannabis sativa, (Haschisch oder Marihuana), die auch wegen ihrer berauschenden Wirkung verwendet werden, und den als Reinsubstanzen verwendeten und als „Cannabinoide“ bezeichneten spezifischen Hauptwirkstoffen Tetrahydrocannabiol (THC) und Cannabidiol (CBD). „THC und CBD besitzen ein unterschiedliches Wirkspektrum und können bei bestimmten Beschwerdebildern positive medizinische Wirkungen erzielen“ erklärt Univ.-Prof. Dr. Rudolf Bauer, Vizepräsident der HMPPA, Institut für Pharmazeutische Wissenschaften, Karl-Franzens-Universität Graz.
Die Zusammensetzung des Inhaltsstoffspektrums in der Cannabis-Pflanze unterliegt großen Schwankungen, daher ist auch die Qualität der Droge hoch variabel. Aus diesen Gründen ist für medizinische Zwecke Zubereitungen der Reinsubstanzen der Vorzug zu geben, weil nur damit eine genaue Dosierung und eine rationale Arzneimitteltherapie möglich ist. Die rechtliche Situation von Cannabis – also Pflanzenteilen und Zubereitungen der Pflanze – sowie seinen Reinsubstanzen ist in der österreichischen Suchtmittelgesetzgebung detailliert geregelt. „Durch eine Ausnahmeregelung ist der medizinische Einsatz von cannabisbasierten Arzneimitteln erlaubt“, erläutert Univ.-Prof. Dr.Dr.h.c. Brigitte Kopp, Vizepräsidentin der HMPPA, Department für Pharmakognosie, Universität Wien.
Medizinische Einsatzgebiete von Dronabinol und Cannabidiol
„Partialsynthetisches THC ist unter der Bezeichnung Dronabinol in Deutschland bereits seit 1998 und in Österreich seit 2004 rezeptierbar sowie seit 2015 ist auch das aus Cannabisextrakt isolierte THC (Dronabinol) für magistrale Zubereitungen ärztlich verschreibungsfähig. Durch klinische Studien mit hoher Evidenz belegte Einsatzgebiete sind v.a. Tumorschmerzbehandlung und Symptomkontrolle in der Palliativmedizin, Chemotherapie-assoziierte Übelkeit sowie Magersucht bei Tumor- und AIDS-Patienten, schmerzhafte Spastik bei Multipler Sklerose sowie neuropathische chronische Schmerzen“, erläutert o. Univ.-Prof. DDr. Hans Georg Kress, EDPM, FFPMCAI(hon), Abt. für Spezielle Anästhesie und Schmerzmedizin, Medizinische Universität Wien/AKH Wien.
Neben den magistralen Zubereitungen von Dronabinol als Rezepturarzneimittel in Form von Kapseln oder Tropfen ist auch ein Sublingual-Spray mit einer Dronabinol-CBD-Mischung im Handel. Daneben sind synthetisches Dronabinol sowie das synthetische THC-Analogon Nabilon auf dem heimischen Arzneimittel-Markt.
Die am besten untersuchten Indikationen für CBD sind frühkindliche refraktäre Epilepsien, kindliche Schizophrenie sowie die Vorbeugung von Graft-versus-Host-Reaktionen nach Knochenmarkstransplantationen. Auch die Schizophrenie bei Erwachsenen könnte eine sinnvolle Indikation darstellen. Eine eventuelle Anti-Tumorwirkung bei Glioblastomen wird erforscht und ist noch nicht gesichert. CBD ist in Österreich derzeit eine Rezeptursubstanz, Zubereitungen sind über Apotheken erhältlich. CBD dürfte jedoch in absehbarer Zeit in Europa und den USA erste Arzneimittel-Zulassungen – vermutlich in der Indikation frühkindliche Epilepsie – bekommen.
Endocannabinoid-System
In den 1990er-Jahren entdeckten Wissenschaftler im menschlichen Nervensystem spezielle Rezeptoren (CB1, CB2), an die THC bindet. In der Folge wurden zwei körpereigene, also endogene Liganden gefunden: die Arachidonsäurederivate Anandamid (Arachidonoylethanolamid, AEA), und 2-Arachidonoylglycerol (2-AG). Diese Entdeckungen waren der Startschuss für die bis heute anhaltende Erforschung des Endocannabinoid-Systems. „Es repräsentiert ein körpereigenes, physiologisches Regulationssystem, das neben seiner Funktion im Zentralnervensystem auch an der Steuerung des Immunsystems und des apoptotischen Zelltods beteiligt ist“, so Prof. Bauer.
Tierexperimentelle Studien haben vielversprechende Ergebnisse bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen des ZNS und des Magen-Darm-Trakts sowie bei Gliomen geliefert. Daher besteht die Hoffnung, dass spezifische CB1- oder CB2-Rezeptoragonisten oder -antagonisten neue therapeutische Perspektiven eröffnen können.
Seriöse Trennung wichtig
Die in das Endocannabinoid-System eingreifenden Cannabinoide sind wertvolle Arzneimittel, für die in Zukunft weitere Einsatzgebiete entdeckt werden. „Daher ist eine seriöse Trennung zwischen Cannabinoiden als Medizin und Cannabis als Rauschmittel extrem wichtig“, betont Prof. Kress. „Es gibt keinen Patienten, der in Österreich illegal zur Cannabispflanze greifen muss, um die nachgewiesene Wirkung bestimmter Cannabinoide zu nutzen. Die Reinsubstanzen bieten den Vorteil, dass sie gezielt, in bedarfsgerecht exakter und damit reproduzierbarer Dosierung eingesetzt werden können.“
Wissenschaftliches Symposium „Cannabis in der Medizin“ Donnerstag 15. November 2018, an der Universität Wien, Kleiner Festsaal, Universitätsring 1, 1010 Wien
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