„Schmerzschrittmacher“: Neue Entwicklungen bei Rückenmarkstimulation für mehr Lebensqualität und Sicherheit

Wien/Innsbruck (pts013/25.01.2017/10:00) – Mit moderner Medizintechnik gegen hartnäckige Schmerzen: Kann eine zufriedenstellende Schmerzlinderung durch eine her­kömmliche medikamentöse und nicht-medikamentöse Schmerzthe­rapie nicht erreicht werden, können als weitere Option invasive Therapieverfahren zum Einsatz kommen. Zum Beispiel die Rückenmarkstimulation oder Spinal Cord Stimulation (SCS): Den Patienten werden dünne Elektroden in den Rückenmarkskanal gelegt und mit einem unter die Haut implantierten Minigenerator verbunden. In Betrieb genommen, sendet das etwa scheckkartengroße Gerät dann elektrische Impulse an die sensiblen Nerven im Inneren der Wirbelsäule.

Eingesetzt wird das sichere Verfahren zur Behandlung von Schmerzen, die mit Medikamenten und nicht-invasiven Therapien alleine nicht beherrschbar sind. „Bewährt hat sich die SCS unter anderem bei chronischen neuropathischen Rückenschmerzen, ausstrahlenden Schmerzen nach Bandscheibenoperationen, Unfällen mit Nervenschäden an Armen oder Beinen oder gegen die berüchtigten Phantomschmerzen nach Amputationen“, berichtet Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Eisner, Neurochirurg an der Universitätsklinik Innsbruck und Vorstandsmitglied der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) anlässlich der 16. Österreichischen Schmerzwochen. „Darüber können auch Patienten mit Durchblutungsstörungen, Angina Pectoris oder Diabetiker mit Polyneuropathien von der Behandlungsmethode profitieren.“

Die schwachen Stromimpulse stimulieren den hinteren Abschnitt des Rückenmarks, von wo aus die veränderten Schmerzsignale an das Gehirn übertragen werden. Für die Patienten ist das als leichtes „Kribbeln“ wahrnehmbar, das – je nach Elektrodenlage – in die Arme oder Beine ausstrahlt und den quälenden Schmerz „überdeckt“.

Eingesetzt wird die Methode in ihrer traditionellen Form bereits seit 30 Jahren. „Bei fast 60 Prozent der Patienten ist damit eine Schmerzlinderung erreichbar. Es wäre zu wünschen, dass möglichst viele Patienten, die davon profitieren können, an ein spezialisiertes Zentrum weiterverwiesen werden“, so Prof. Eisner. „Inzwischen gibt es verschiedene neue Ansätze und Varianten, die auch für die bisher nicht darauf ansprechenden Patienten Hoffnung bieten und die Methode noch sicherer machen.“

Personalisierte Stimulation

Mittlerweile ist der Trend zur personalisierten Medizin auch bei der Rückenmarksstimulation angekommen: „Die neuen Ansätze erlauben es, Amplitude, Polung, Impulsweite und vor allen die Frequenz individuell an die spezifischen Bedürfnisse einzelner Patienten anzupassen“, erklärt Prof. Eisner. Bei der sogenannten Adaptive Stim-Technologie passiert das sogar automatisch und abhängig von der Lage des Patienten. Eigene Bewegungssensoren erfassen die Körperposition und melden jede Veränderung an das Gerät, das daraufhin automatisch die Impulsstärke anpasst.

Zusätzlich zur adaptiven Stimulation kann auch eine High-Density-Stimulation (HD) durchgeführt werden. Dabei können Frequenz und Impulsweite adaptiert werden, um für die Patienten eine optimale Schmerzlinderung zu erreichen.

MRT-Scan auch mit Implantat

Eine SCS-Neuentwicklung beseitigt auch ein anderes Problem: Weil MRT-Geräte starke Magnetfelder und Radiofrequenzimpulse erzeugen, konnten Patienten mit implantiertem SCS-System in der Vergangenheit keine Ganzkörper-MRT-Scans machen. Die spielen aber gerade in der Schmerzmedizin zur Diagnosestellung eine wichtige Rolle. Mit dem „SureScan MRI“-System zur Rückenmarkstimulation ist jetzt ein Gerät verfügbar, das mit einem Betriebsmodus für MRT-Untersuchungen ausgestattet ist. „Damit“, so Prof. Eisner, „können sich auch SCS-Patienten unter bestimmten Bedingungen sicher einem Ganzkörper-MRT-Scan unterziehen.“

Nutzen von hochfrequenten Stromimpulsen

Die für die SCS typischen Parästhesien, also ein leichtes Kribbeln unter der Haut, empfinden nur die Hälfte der Behandelten als angenehm. Während herkömmliche SCS-Systeme mit Frequenzen von 40 bis 100 Hertz arbeiten, liegt sie bei der hochfrequenten Rückenmarkstimulation (HF SCS) bei 10.000. Damit liegen die Amplituden der Stromimpulse so nahe beieinander, dass sie außerhalb der menschlichen Wahrnehmung liegen. „Für einige Patienten“, berichtet Prof. Eisner, „ist das Kribbeln wichtig, möglicherweise weil sie so daran erinnert werden, dass die Stimulation funktioniert. Für andere ist es störend. Wir klären die Vor- und Nachteile mit jedem Patienten ab“.

Ein neues Hochfrequenz-SCS-System hat sich in einer aktuellen Studie auch jenseits der fehlenden Parästhesien als nützlich erwiesen. Die multizentrische, prospektive randomisierte SENZA-RCT Studie verglich das HF10-SCS-System mit einem herkömmlichen Stimulationsverfahren.

Die Studienteilnehmer litten zwischen zwei und 25 Jahren an starken Rücken- oder Beinschmerzen. Die meisten davon rührten von früheren Wirbelsäulenoperationen her und hatten eine starke Behinderung oder gar Invalidität zur Folge. Alle Betroffenen sprachen seit mehr als drei Monaten auf keine konservative Therapie an.

Schon die ersten, zwölf Monate nach Studienbeginn veröffentlichten Ergebnisse übertrafen die Erwartungen: „Es hat sich herausgestellt, dass mehr Patienten auf die Hochfrequenz-Stimulation ansprachen und sowohl die Schmerzlinderung als auch das funktionale Outcome der Patienten besser waren“, so Prof. Eisner. Inzwischen liegt die 24-Monatsauswertung vor, die vor kurzem im Fachjournal Neurosurgery publiziert wurde.

Zwei Jahr nach Behandlungsbeginn sprachen 76,5 Prozent der Rückenschmerz-Geplanten auf das HF10-SCS-Implantat an, auf die herkömmliche SCS 49,3 Prozent. Ähnlich hoch der Unterschied bei den Beinschmerzen: Während die hochfrequente Stimulation 72,9 Prozent der Patienten Linderung verschaffte, gelang das mit der herkömmliche Methode in 49,3 Prozent der Fälle.

Auch bei der Schmerzintensität schnitt die Hochfrequenz-Stimulation besser ab. Initial hatten die Probanden mit Rückenschmerzen ihr Leiden durchschnittlich mit einem Wert von 7,6 und jene mit Beinschmerzen mit 7,3 auf einer zehnteiligen Skala eingeschätzt. 24 Monate nach Behandlungsbeginn lagen die Werte bei den Hochfrequent-Behandelten bei jeweils 2,4, während sie in der Vergleichsgruppe im Durchschnitt mit 4,5 beziehungsweise 3,9 ermittelt wurden.

Nicht zuletzt, weil sich die Nebenwirkungen bei beiden Verfahren gleichermaßen in engen Grenzen hielten, wecken die Ergebnisse unter Schmerztherapeuten große Hoffnungen. „Chronische Schmerzen sind ein signifikantes Problem, häufiger als Diabetes, Herzerkrankungen oder Krebs“, so Prof. Eisner. „Aufgrund des Nachweises einer signifikanten und dauerhaften Schmerzreduktion bei Rücken- und Beinschmerzen, stellt die HF10-Therapie eine wichtige und evidenzbasierte zusätzliche Option dar“.

Quelle: Kapural L et al: Comparison of 10-kHz High-Frequency and Traditional Low-Frequency Spinal Cord Stimulation for the Treatment of Chronic Back and Leg Pain: 24-Month Results From a Multicenter, Randomized, Controlled Pivotal Trial. Neurosurgery 2016, Sept, Published Ahead-of-Print, DOI: 10.1227/NEU.0000000000001418

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